Die Angst vor Regulierung

Zwei Wochen nach den Terroranschlägen stellt sich Paris auf die Mammutkonferenz „COP21“ ein: 195 Länder und die EU sollen dort unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen ein neues Klimaabkommen aushandeln. Der luxemburgische Klimaforscher Dr. Andrew Ferrone ist als Berater der Regierung beteiligt. Wir haben uns mit ihm über Klimaforschung, „COP21“ und die Angst der Wirtschaft vor Regulierung unterhalten.

Source : Tageblatt
Publication date : 11/26/2015

 

Tageblatt: Klimawandel – Mär oder Realität?

Andrew Ferrone: Der Klimawandel findet statt. Die Temperaturen steigen. Das ist ein bewiesener Fakt.

Kritiker weisen darauf hin, dass es eine Vielzahl von Faktoren gibt, die zu erhöhten Temperaturen führen ...

Stimmt. Es gibt aber noch andere Faktoren, die sich verändern. Nehmen Sie die steigenden Meeresspiegel. Das kann man nachmessen und hängt mit dem Klimawandel zusammen.

Die Gletscher bilden sich zurück. Die Eiskappen verlieren an Masse. Das stimmt mit Klimawandel überein. Es wird oft erwähnt, Klimaforscher hätten gesagt, es werde keinen Schnee mehr geben. Das stimmt. In der Schweiz ist das ein reelles Problem.

Dort stellt man sich die Frage: Können wir in Zukunft noch Ski-Tourismus machen? Wenn die Temperaturen global um drei, vier Grad steigen, verschwindet der Schnee tatsächlich. Es wurde aber bereits seit längerem prognostiziert, dass in einer ersten Phase – das heißt jetzt, wo wir noch nicht in einem vollständigen Extrem-Szenario sind – die Bandbreite der Temperaturen breiter wird.

Das heißt?

Die kalten Extreme bleiben ungefähr gleich. Aber es gibt mehr Extreme bei den hohen Temperaturen. Das wurde von verschiedenen Modellen vorausgesagt. Und findet nun tatsächlich statt.

Ein weiteres Argument, das zuletzt verwendet wurde, ist der Stopp der Erderwärmung. Auch das ist nie so gesagt worden. Im Falle von Modellen muss man berücksichtigen, dass Klimawandel sich in einem Zeitraum von mindestens 30 Jahren entwickelt. Es ist kein tagtägliches Phänomen.

Hier lautet das Gegenargument, dass es ohnehin sich wiederholende Zyklen mit unterschiedlichen Klima-Bedingungen gibt.

Das ist ein Gegenargument. Wir haben aber verschiedene Faktoren, die darauf hinweisen, wie sich das Klima in der Vergangenheit verändert hat. Das kann man natürlich nicht direkt messen. Es gab in der Tat Zeiten, zu denen es wärmer als heute war. Kein Wissenschaftler würde das Gegenteil behaupten. Allerdings ist es auch ganz klar, dass dies derzeit in einer nie da gewesenen Schnelligkeit passiert.

Woran stellen Sie dies fest?

Nehmen wir als Beispiel die letzte Eiszeit. Die globalen Temperaturen waren vier Grad kälter als heute. Zwischen der letzten Eiszeit und den heutigen Temperaturen liegen 10.000 bis 15.000 Jahre. Wenn wir jetzt die schlimmsten Szenarien einsetzen, ergibt sich ein interessantes Bild.

Sagen wir, die Klimapolitik versagt völlig – wir würden zum Beispiel in Sachen Erderwärmung ein Vier- statt ein Zwei-Grad-Ziel ansteuern –, dann hätten wir die gleiche Variation innerhalb von 100 Jahren. Das sind Projektionen des Weltklimarats. Ich hoffe natürlich, dass es nicht dazu kommt (lacht).

Einfache Antworten

Wenn wissenschaftlich alles eindeutig ist, weshalb finden die Klimawandel-Skeptiker so viel Gehör?

Ich muss ehrlich sagen, dass ich noch nie auf einer wissenschaftlichen Konferenz war, wo irgendjemand gesagt hätte, dass es den Klimawandel nicht gibt.

Es gibt natürlich Wissenschaftler, die eher an alarmistischen Szenarien interessiert sind und die Situation dementsprechend darstellen. Andere sagen: „Es gibt einen Klimawandel, er ist durch Menschen verursacht worden, aber die Konsequenzen sind vielleicht nicht so schlimm, wie das heute dargestellt wird.“ Diese Diskussion ist berechtigt und muss geführt werden.

Wie viel weiß man eigentlich über die Konsequenzen?

Diese Frage ist eine der großen Unsicherheiten, die sich uns stellt: Wie schlimm sind die Konsequenzen des Klimawandels? Dennoch: niemand bezweifelt, dass es ihn gibt.

Zurück zur Ausgangsfrage: Wieso finden die Klimaskeptiker so viel Gehör?

Sie bringen oft einfache Argumente, die einfach zu verstehen sind. „Siehst du, dass hat nichts mit Klimawandel zu tun. Es gibt ihn nicht“, denken dann viele. Wir Wissenschaftler sind wiederum dazu verdammt, unsere Aussagen so präzise wie möglich zu treffen. Es ist schwer, Fakten zu popularisieren, damit die breite Masse sie auch versteht.

Wie stark ist die Klimawandel-Frage politisiert?

Man muss hier drei Ebenen unterscheiden. Es gibt die rein wissenschaftlichen Studien. Ich kenne viele Wissenschaftler, die nichts mit Politikern zu tun haben wollen. Das ist keine Kritik.

Es gibt zudem die „Peer Review“ (Kreuzgutachten zur Qualitätssicherung wissenschaftlicher Publikationen, Anm. d. Red.). Und zu guter Letzt existiert der Weltklimarat. Er soll die Beziehung zwischen der puren Wissenschaft einerseits und der Politik andererseits herstellen.

Die Peer-Review-Verfahren spielen oft eine Objektivität vor, die sie gar nicht garantieren: Oft finden sich ähnlich forschende Wissenschaftler in diesen Gremien wieder.

Es gibt auch in der Klimaforschung Wissenschaftler, die eine weniger extreme Ansicht haben. Nehmen Sie den Deutschen Hans von Storch. Er ist dem Weltklimarat gegenüber eher kritisch eingestellt. Ich respektiere diese Sicht. Er arbeitet aber mit großer Sicherheit im „Peer Review“.

Wenn man also „Pech“ hat, die große Panik verbreiten will und an ihn gerät, wird er sicherlich sagen: „Schraub jetzt mal etwas zurück und stopp die Panikmache“. Das ist die erste Etappe einer wissenschaftlichen Publikation. Dann geht der Text erst in den Weltklimarat und muss durch weitere drei Runden „Peer Review“, bevor er überhaupt in einem Bericht des Weltklimarats landet.

Dennoch: Politiker bevorzugen die für ihre Linie vorteilhaften Studien.

Es gibt sicherlich politische und ideologische Ansichten, die den Diskurs über den Klimawandel prägen. Von ganzen Parteien zu sprechen, wäre übertrieben. Ich kann die Lektüre von „merchants of doubt“ nur wärmstens empfehlen.

Historiker haben in diesem Buch bewiesen, dass Experten, die zunächt für die Tabakindustrie Lobbyarbeit geleistet haben, später Experten des Ozonlochs und heute Experten des Klimawandels geworden sind: Die gleichen Personen, die gleichen Namen. Es sind die gleichen Lobbies.

Wie kommt es dazu?

Es ist klar: Wenn man etwas gegen Klimawandel unternehmen will, bringt das Entscheidungen mit sich, die Faktoren der freien Wirtschaft reduzieren. Das ist jedem klar. Es gibt Personen, die aus ideologischen Gründen dagegen sind. Beim Weltklimarat gibt es auch viele Ökonomen. Sie sind der Meinung, dass Klimafragen in der Wirtschaft berücksichtigt werden müssen. Das kann man nur über Elemente wie eine Steuer oder den Emissionshandel. Die Klimaskeptiker wollen nicht, dass die freie Wirtschaft eingeschränkt wird.

Hinzu kommen gescheiterte Projekte wie das Kioto-Protokoll.

Der Prozess ist extrem langwierig und schwierig. Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Es wurden aber bereits Schritte getan, die wichtig waren. Zum Kioto-Protokoll: In Ordnung, wir haben etwas gelernt – es hat nicht funktioniert. Aber das ist bereits ein wichtiger Schritt, diese Art von Diskussion zu führen. Politiker haben gelernt, wie sie mit diesem Thema umgehen sollen. Wo die Vor- und Nachteile liegen.

Die UN-Klimakonferenz in Kopenhagen 2009 war ein ähnlicher Reinfall.

Kopenhagen war ein Reinfall. Ich behaupte nicht das Gegenteil. Ich war selbst vor Ort. Aber es war wichtig, dass festgehalten wurde, dass die Erderwärmung auf weniger als zwei Grad begrenzt werden soll. Das war wichtig, weil vorher bei Diskussionen immer gesagt wurde, das man die Emissionen runtersetzen müsse. Dann haben andere Staaten gesagt: „Wir können auch auf vier Grad gehen. Das ist genauso gut. Also streichen wir den Satz mal“. (lacht) Deswegen ist mittlerweile zumindest das Ziel klar und von Staaten wie den USA und China anerkannt.

Was kann COP21 in Paris eigentlich bewirken?

Ich bin optimistisch. Wenn die angestrebten Ziele umgesetzt werden, kann man COP21 als Erfolg bezeichnen. Es ist das erste Mal, dass auf internationaler Ebene Maßnahmen getroffen werden könnten, um die CO 2 -Emissionen zu senken.

Wie stehen die Chancen?

Der Aufbau dieser Konferenz ist bereits anders. Zuerst reden die Staatsoberhäupter, um einen Impuls zu geben. Dann geht der Ball zu den Verhandlungsführern zurück. Danach treffen die Staatenlenker ihre Entscheidungen. Das wurde zum Beispiel nicht in Kopenhagen getan. Dort kamen sie erst am Ende. Am Anfang gab es nur die Verhandlungsführer und die Staatsoberhäupter versuchten zum Schluss irgendetwas zu retten.

Tropische Nächte

Tropische Nächte, Vegetationsperioden und Niederschlag: Was exotisch klingt, gehört zum Forschungsalltag des Luxemburger Klima-Experten Andrew Ferrone (LIST). Wir haben uns mit ihm über einige der spannendsten Forschungsergebnisse zum Großherzogtum unterhalten. Auch in Luxemburg scheint der Klimawandel zunehmend eine Rolle zu spielen – zumindest herrscht in vielen Fragen ein ernst zu nehmender Forschungsbedarf.



„Stress“ für den Körper

Während einer tropischen Nacht fällt die Temperatur nicht unter 20 Grad. Das verursacht in unseren Breitengraden extreme „Stresslevel“. Der Körper kann sich nicht mehr erholen. Bislang gab es im Mittel über 30 Jahre eine tropische Nacht pro Sommer. „Das variiert: Diesen Sommer gab es derer in der Moselgegend bis zu fünf, während es im Öslingen nur eine einzige gab“, so Ferrone. Im Durchschnitt kämen aber acht für das Öslingen und 15 für das „Guttland“ dazu, wende man ein durchschnittliches Szenario des Weltklimarats an. Der Stress nehme also extrem zu, weil der Körper sich oft nicht mehr erholen könne, beschreibt Ferrone die Forschungsergebnisse des LIST.



Längere Vegetationsperiode, aber ...

Die Vegetationsperiode beginnt, nachdem die Temperaturen an fünf aufeinanderfolgenden Tagen über fünf Grad Celsius liegen. Dann treiben Pflanzen etwa ihre Knospen aus. Die Vegetationsperioden werden länger, so Ferrone. Sie liegt momentan bei 250 Tagen im Durchschnitt. Sie könne im gleichen Szenario (siehe oben) auf bis zu 300 Tage steigen. Dadurch können zum Beispiel Bauern einmal mehr Heu im Sommer ernten. Aber: die Vegetationsperiode fängt früher an, Frost kann immer noch eintreten und der Verlust der Knospen kann deshalb zunehmen.



Forschungsbedarf

Im Winter gebe es bis zu 30 Liter mehr Regen pro Quadratmeter. Dies sei ein schwaches Signal. „Darüber muss man sich weniger Gedanken machen“, hebt Ferrone hervor. Aber im Sommer gebe es bis zu 65 Liter Regen pro Quadratmeter weniger. Dies sei ein signifikanter Rückgang und für die Landwirtschaft problematisch. „Das sah man diesen Sommer: Wenn es regnet und die Vegetations periode länger ist, kann es logischerweise keine gute Ernte geben“, beschreibt Ferrone. Hier herrsche noch Forschungsbedarf zum Impakt dieses Wandels. 


Der Klima-Experte Andrew Ferrone

Der Luxemburger Andrew Ferrone ist seit 2013 Luxemburgs Vertreter beim Weltklimarat („Intergovernmental Panel on Climate Change“, IPCC). Es handelt sich um eine vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) ins Leben gerufene zwischenstaatliche Institution. Sie soll Politik und Wissenschaft miteinander verbinden. Politische Entscheidungsträger sollen in diesem Gremium den wissenschaftlichen Forschungsstand zusammengefasst bekommen. Die Organisation wurde 2007 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.

Ferrone ist der einzige Vertreter Luxemburgs beim IPCC. Mit Blick auf die Klimakonferenz COP21 ist er wissenschaftlicher Berater der Regierung. Zurzeit arbeitet er am „Luxembourg Institute of Science and Technology“ (LIST) in der Abteilung „Environmental Research and Innovation“ (ERIN) für das „Observatory for the Climate and the Environment“. Ferrone hat Physik und Klimatologie an der „Université catholique de Louvain“ in Belgien studiert. Er promovierte an der gleichen Uni im Jahr 2011. Von 2011 bis 2013 arbeitete er am „Karlsruhe Institute of Technology“. Des Weiteren war er von 2013 bis 2014 Senior Researcher am CRP. G.-Lippmann in Luxemburg, das im Januar 2015 zusammen mit dem CRP. H. Tudor fusionierte und das „Luxembourg Institute of Science and Technology“ hervorbrachte. Dort arbeitet er heute als R&T Associate.
 

Dhiraj Sabharwal

 

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