Die EU-Kommission will den Einsatz von Gentechnik vereinfachen. Manche Landwirte begrüßen die Initiative – andere üben scharfe Kritik
Source : Luxemburger Wort
Publication date : 07/14/2023
Vergangene Woche schlug die EU-Kommission Gesetzesänderungen vor, die es Landwirten erleichtern würden, gentechnisch veränderte Pflanzen anzubauen und entsprechende Lebensmittel auf den Markt zu bringen. Der Vorstoß gilt für Verfahren der sogenannten „Neuen Gentechnik“.
Diese neuen Methoden wie Crispr/Cas, die in den letzten zehn Jahren zunehmend zum Standard in der Forschung wurden, gelten als deutlich effizienter, billiger und präziser als die „traditionelle“ Gentechnik. Während zuvor bestimmte Gene eines anderen Organismus in die Erbinformationen beispielsweise einer Pflanze eingeschleust wurden, um bestimme Eigenschaften zu verändern, durchtrennt die sogenannte „Genschere“ Crispr/Cas einen DNAStrang an einer vorgegebenen Stelle und kann dort Veränderungen an einzelnen DNABausteinen vornehmen.
Unter den neuen Regeln des Kommissionsvorschlages müssten Produkte, die auf diese Weise mit neuer Gentechnik verändert wurden, nicht mehr gekennzeichnet werden, wenn die Eingriffe eine bestimmte Schwelle nicht überschreiten. Verbraucher im Supermarkt würden demnach nicht mehr unbedingt erfahren, ob die Kartoffeln, die sie in ihren Einkaufswagen laden, auf diese Weise optimiert wurden.
Centrale Paysanne sieht vor allem die Chancen
Die Luxemburger Landwirte begrüßen grundsätzlich die Initiative. „Die Technologie ist mit vielen Vorteilen verbunden“, sagt Christian Wester, der Präsident der Centrale Paysanne. „Zum Beispiel können wir den Zuchtprozess enorm beschleunigen.“ Mithilfe der Genschere können Sorten gezüchtet werden, die besondere Eigenschaften haben. Ein Beispiel wären Pflanzen, die eine höhere Widerstandsfähigkeit gegen extreme Hitze oder Trockenheit haben. „Das könnte der Landwirtschaft in Luxemburg helfen, resilienter gegen die Wetterextreme zu werden, die durch den Klimawandel hervorgerufen werden“, sagt Wester.
Auch Dr Michael Eickermann, Agrarwissenschaftler am Luxembourg Institute of Science & Technology (LIST) ist zufrieden mit der Entscheidung. „Ich denke, dass damit eindeutig mehr Chancen als Risiken verbunden sind. Crispr/Cas ist einer der Gamechanger unseres Jahrtausends, vergleichbar mit der Entschlüsselung der DNA“, sagt er. „Der große Unterschied zur klassischen Gentechnik ist, dass wir hier über Punktmutationen sprechen, also kleinste genetische Veränderungen innerhalb der eigenen Art. Es wird dabei kein Genmaterial einer fremden Art verwendet.“
Züchtungen von Pflanzen und Tieren mit bestimmten Eigenschaften durch Auslese sind so alt wie die Landwirtschaft selbst. Schon seit der Neolithischen Revolution vor etwa 12.000 Jahren wurden natürliche Mutationen ausgenutzt, damit die nächste Generation Kühe mehr Milch gab oder der Weizen ertragreicher wurde. „Die Ergebnisse von Crispr/Cas sind von traditionellen, konventionell gezüchteten Pflanzen nicht mehr zu unterscheiden“, sagt Eickermann. „Der Unterschied ist, dass ich bei einer herkömmlichen Kreuzung vorher nicht weiß, was rauskommt. Wenn ich beispielsweise Apfelsorten miteinander kreuze, dauert das mitunter zehn bis 15 Jahre, bis ich abschließend sagen kann: Der Apfel hat eine gute Wuchsform, schmeckt, ist lagerfähig und hat einen hohen Vitamingehalt und so weiter. Bei Crispr/Cas kann ich mir im Vorfeld die Gensequenzen aussuchen, weil ich genau weiß, dass ich beispielsweise einen höheren Vitamin C Gehalt erhalte, wenn ich an dieser Stelle im Genom eine Punkt-Mutationen durchführe.“ Das bedeute aber auch, dass die DNA zuvor komplett sequenziert sein muss.
Geringerer Einsatz von Pestiziden möglich
Der Wissenschaftler sieht mehrere Anwendungsbereiche, in denen die Technologie helfen könnte, die Landwirtschaft an die zukünftigen Herausforderungen anzupassen. „Man könnte die Resistenzen gegen bestimmte Erreger erhöhen, beispielsweise gegen die Kartoffelfäule, oder die Anfälligkeit von Getreide gegenüber Pilzen vermindern“, sagt er. Das hätte zur Folge, dass Landwirte weniger Pestizide spritzen müssten. Wenn man Pflanzen züchtet, die besser mit den vorhandenen Bodennährstoffen zurechtkommen, müsste weniger Kunstdünger auf den Feldern aufgebracht werden. Diese Punkte könnten auch für Biobauern, die sich teilweise gegen den Einsatz von Gentechnik sperren, eine Chance darstellen“.
Ein weiterer Bereich, in der die neue Gentechnik helfen könnte, sei eine höhere Widerstandsfähigkeit gegen Trockenstress. „Wenn es gelänge, beispielsweise Reis oder Sorghum zu entwickeln, der eine Resistenz gegen Trockenstress hat, wäre das natürlich eine riesige Möglichkeit, gerade für Landwirtschaft in Afrika“, sagt Eickermann. Das sei aber trotz aller Fortschritte nichts, was sich kurzfristig realisieren ließe, betont der Wissenschaftler. Denn während die Informationen für die Resistenz gegen Krankheiten häufig auf nur zwei oder drei Genabschnitten lägen, könne eine höhere Widerstandskraft gegen Trockenheit nur erreicht werden, wenn Änderungen auf zehn oder mehr Abschnitten vorgenommen würden. Von den etwa 700 Versuchen, die weltweit momentan in diesem Bereich liefen oder beantragt seien, beschäftige sich ein gutes Viertel mit einer höheren Resistenz gegen Schädlinge und Krankheiten oder Resilienz gegenüber Dürre, erklärt der Wissenschaftler.
Warnung vor den Risiken
Trotz der Chancen sieht Eickermann hier auch einige Risiken. „Ich könnte mir vorstellen, dass durch den verstärkten Einsatz von Crispr/Cas auch ein verstärkter Druck auf die Population von Krankheitserregern entsteht. Wir haben im Rahmen der Covid-19-Krise gesehen, wie schnell Viren mutieren und sich anpassen. Wenn wir mittels Crispr/Cas versuchen, beispielsweise eine Tomate gegen ein Virus resistent zu machen, könnte es sein, dass wir den Wettlauf zwischen genetischen Veränderungen an der Pflanze und Mutation von Pflanzenviren beschleunigen“, sagt er.
Daniela Noesen von der „Vereenegung fir Biolandwirtschaft Lëtzebuerg“ steht dem Vorstoß ablehnend gegenüber. „Es gibt in der Gentechnik erfahrungsgemäß große Differenzen zwischen dem, was unter Laborbedingungen geschieht, und dem, was in der Natur passiert. Hier spielen eine Menge Umweltfaktoren eine Rolle. Diese Risiken können wir gar nicht abschätzen“, sagt Noesen. Auch für Raymond Aendekerk, Direktor von Greenpeace Luxemburg, bestehen Risiken für die Ökosysteme. „Man will ja bestimmte Eigenschaften wie Superwachstum in diesen Pflanzen haben. Die werden dann aber auch überall wachsen, sich verbreiten und sich einkreuzen mit anderen Pflanzen. Welchen Einfluss das auf diese Pflanzengemeinschaften hat und die Insekten haben wird, weiß man noch nicht. Da sind noch weit, weit mehr Prüfungen notwendig, um das aufzuklären“, sagt er.
Noesen befürchtet, dass mit der Änderung das Vorsorgeprinzip in der EU aufgeweicht wird, das verhindern soll, dass Gefahren für Mensch und Umwelt überhaupt erst entstehen. Demnach müssten Gentechnikfirmen zunächst nachweisen, dass ihre Anwendung ungefährlich ist. „Konzerne haben aber vornehmlich das Ziel, ein Produkt schnell zur Marktreife zu bringen und dann gewinnbringend zu verkaufen, was meist mit Patenten und Lizenzen für die Landwirte verbunden ist“, sagt sie. „Das alles findet hinter dem Rücken der Verbraucher statt. Diese wollen aber selbst entscheiden, was sie essen, und 80 Prozent der EU-Bürger wollen keine Gentechnik auf ihrem Teller.“
Widerstand der Biolandwirte
Die Gefahr, dass man mit der Genschere nicht nur die anpeilten Veränderungen erzielt, sondern unabsichtlich unerwünschte Nebeneffekte hervorruft, hält Eickermann hingegen für überschaubar. Es gebe biochemische Verfahren, um zu überprüfen, dass man nur die richtigen Genabschnitte erwischt habe. Daneben würden veränderte Pflanzen zunächst in Gewächshäusern isoliert und ausgiebig getestet, bevor sie auf Feldern zum Einsatz kommen. „Außerdem muss man mit den neuen Gentechnikverfahren nicht unbedingt mit Nahrungsmittelpflanzen anfangen, sondern kann sich auf Pflanzen konzentrieren, die Rohstoffe liefern, wie Faserhanf oder Energiepflanzen, die in Biogasanlagen verwendet werden“, so Eickermann.
Gentechnik widerspreche den Grundprinzipien der Biolandwirtschaft, sagt Noesen. Daher sieht sie große Probleme auf die Biolandwirte zukommen, weil die nicht-gekennzeichneten gentechnisch veränderten Pflanzen neben ihren Bio-Pflanzen stehen. „Wir haben dann gar nicht mehr die Möglichkeit, nachzuweisen, dass unsere Produkte gentechnikfrei sind. Umgekehrt muss derjenige, der die Technologie verwendet, nicht dafür Sorge tragen, dass die Felder anderer damit nicht kontaminiert werden. Damit wird das Verursacherprinzip auf den Kopf gestellt“, sagt Noesen. Problematisch ist für Raymond Aendekerk auch das Ende der Kennzeichnungspflicht für einen Teil der genveränderten Pflanzen. „Auf diese Weise freigesetzte Pflanzen kann man nicht mehr zurückholen. Weil sie nicht deklariert sind, ist das auch nicht mehr nachverfolgbar, woher sie stammen. Damit ist das Risiko weit weg von den Verursachern“, sagt er.
Für Christian Welter könnte es zudem ein Problem werden, wenn die großen Konzerne versuchen, Patentrechte auf genverändertes Saatgut geltend zu machen. Heute vermehren viele Landwirte, gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern, die Samen, die sie auf ihren Feldern ausbringen selbst. „Das könnte dann verboten werden. Grundsätzlich muss das aber jedem zugänglich gemacht werden. Natürlich müssen die Firmen ihre Entwicklungskosten wieder reinholen, aber es sollte nicht so sein, dass sie auf lange Zeit ein Monopol haben“, so Welter.
THOMAS KLEIN