Die Lieferkette und ihre schwächsten Glieder

Ein kleines Unternehmen aus Grevenmacher durchleuchtet mithilfe des LIST und Künstlicher Intelligenz den Weg vom Rohstoff bis zum Handel

Source : Luxemburger Wort
Date de publication : 28/08/2023

 

Mit Blick auf die Sommerpause und die bevorstehende Wahl im Herbst wurde von der Regierung im Juli noch einiges an Gesetzen im Parlament zur Abstimmung vorgelegt, was sich in den vergangenen Monaten bis Jahren angesammelt hatte. Das Lieferkettengesetz, mit dem unterem anderem die zum Teil extrem schlechten Arbeitsbedingungen in den produzierenden Ländern bekämpft oder zumindest aus den Geschäftsbeziehungen luxemburgischer Unternehmen verbannt werden sollten, war allerdings nicht dabei.

Das Vorhaben findet sich zwar im Koalitionsvertrag der Regierung und es gibt dazu auch seit einigen Monaten eine Gesetzesvorlage, bislang aber wurde das Projekt eher schleifen gelassen. Unter anderem mit der Begründung, dass es sinnvoller sei, die entsprechende Gesetzgebung auf europäischer Ebene abzuwarten.

Einige Unternehmen sind schon aktiv

Im benachbarten Deutschland wurde das sogenannte Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz bereits 2021 verabschiedet. Die Regelung verpflichtet dort Unternehmen ab einer gewissen Größe und einem bestimmten Umsatz dazu, die eigenen Lieferketten fortlaufend auf Missstände zu überprüfen, um dann gegebenenfalls bestimmte Prozesse einzuleiten und diese auch zu dokumentieren.

Auch in Luxemburg ist kein Unternehmen darauf angewiesen, erst ein entsprechendes Gesetz abzuwarten, um tätig zu werden. Der „Initiative pour un Devoir de Vigilance Luxembourg“ beispielsweise gehören nicht nur 17 Organisationen aus der Zivilgesellschaft an, sondern auch zahlreiche Akteure aus allen Bereichen der luxemburgischen Wirtschaft. Dazu zählen Unternehmen wie Grosbusch, Naturata oder Mondo del Caffè, aber auch Handwerksbetriebe wie Topsolar oder Peinture Robin.

Wer menschenunwürdige oder umweltschädliche Bedingungen in der Lieferkette seiner Produkte ausfindig machen möchte, damit aber womöglich überfordert ist, kann zudem externe Anbieter mit dieser Aufgabe betrauen. Das kleine Unternehmen Cure aus Grevenmacher ist ein solcher Dienstleister – und im Grunde auf diesem Gebiet ein Quereinsteiger, wie Geschäftsführer Marco Feiten erklärt.

150 Millionen Datensätze werden durchforstet

Das Team von Cure war zunächst auf Marketing- und Kommunikationsdienstleistungen sowie Daten- und Medienanalyse spezialisiert, wurde dann aber gewissermaßen von außen auf das Thema Lieferketten gestoßen. „Vor ein paar Jahren hat sich unser damals größter Kunde an uns gewandt und gesagt: ‚Da kommt ein großes Gesetz zur Kontrolle der Lieferketten auf uns zu. Könnt Ihr uns da helfen?‘“, so Feiten. Daraus sei dann die Idee entstanden, die bereits vorhandenen Fähigkeiten auf dem Gebiet der Datenauswertung für diese Zwecke zu nutzen.

„Gerade mittelständische Unternehmen sind damit meistens überfordert, und wir waren selbst überrascht, wie wenig Standards es auf diesem Gebiet gibt“, sagt CoupeDatenanalyst Joscha Krause. Mit einer eigens dafür entwickelten Software auf Basis Künstlicher Intelligenz (KI) können Krause und sein Team über 150 Millionen Datenquellen in Echtzeit auswerten. Zu diesen Daten gehören beispielsweise Geschäftsberichte, Reports von NGOs oder aber auch Medienberichte. Wenn etwa eine Lokalzeitung am anderen Ende der Welt über Streiks in einem Unternehmen berichtet, so kann das ein Indiz für schlechte Arbeitsbedingungen sein. Es kann gleichzeitig aber auch ein Hinweis darauf sein, dass es zu Problemen in der Produktion oder Lieferung kommen könnte.

Ein kleines Problem mit großer Wirkung

Wie Feiten erklärt, sei anfangs zunächst der Fokus auf das sich anbahnende Gesetz gelegt worden. „Die Idee war, den Unternehmen eine Echtzeitbeobachtung der Lieferketten zu bieten, um zu schauen, ob es irgendwo zu Verstößen kommt“, sagt der Geschäftsführer. „Dann aber kam die Pandemie, was die Unternehmen und auch uns dazu geführt hat, die Lieferketten auch noch aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten“, so Feiten. Weil dann nämlich auf einmal unzählige Warenströme unterbrochen wurden und viele Unternehmen darauf einfach nicht vorbereitet waren. Und bevor die Pandemie endete, war Russland bereits in der Ukraine einmarschiert, löste damit neben all dem Leid zudem auch noch ein weltweites wirtschaftliches Chaos aus.

Kurzum: Die vergangenen Jahre haben die Abhängigkeit europäischer Unternehmen von ausländischen Zulieferern – insbesondere vom asiatischen Markt – schonungslos offenbart. Lieferschwierigkeiten bei kleinsten Bauteilen haben zahlreiche Unternehmen an die Grenze ihrer Existenz und darüber hinaus geführt.

Nach der KI folgt der Faktencheck

Cure analysiert deshalb im Auftrag seiner Kunden zwei Risiken: das rechtliche, zu dem schlechte Arbeits- und Umweltbedingungen und Menschenrechtsverletzungen gehören, und das betriebliche, wie drohende Lieferausfälle. „Unsere KI filtert dazu alle Informationen, denn von den 150 Millionen Datensätzen, auf die wir zugreifen, sind 99,99 Prozent für den Kunden irrelevant“, sagt Krause. Und das, was an relevanter Information übrigbleibe, werde schließlich in die jeweilige Risikokategorie eingeteilt, um daraus dann eine Bewertung des Bedrohungspotenzials zu erstellen.

„Wir verlassen uns dabei nicht allein auf die KI, sondern analysieren zunächst das, was von ihr als riskant eingestuft wurden, führen also einen Faktencheck durch“, erklärt Krause. Wenn sich dann etwas als falsche Information erweise, werde das an die KI zurückgespielt, wodurch das System immer weiter lerne.

Blockierte Seefahrtwege und das Verschwinden der Häfen

Weil das Unternehmen zwar über eine Expertise auf dem Gebiet der Datenanalyse verfügt, mit logistischen Abläufen bislang aber recht wenig zu tun hatte, arbeitet Cure nun mit Forschern vom Luxembourg Institute of Science and Technology (LIST) zusammen. Im Rahmen eines dreijährigen, vom Wirtschaftsministerium geförderten Projekts soll dabei eine Art Plattformlösung geschaffen werden. „Ziel ist es, den Unternehmen ein Instrument an die Hand zu geben, mit dem sie arbeiten können“, erklärt Feiten.

Die Liste dessen, was zu Problemen oder einer Neuausrichtung in der Lieferkette führen kann, ist lang. Sie reicht von der drohenden Insolvenz einer kleinen Schraubenmanufaktur im äußersten Osten Chinas bis zu einem gewaltigen Containerfrachter, der sich im Suezkanal festfährt und damit tagelang eine der weltweit wichtigsten Handelsrouten blockiert. Hinzu kommen ständig fortschreitende technische Entwicklungen bei Produkten, wodurch sich auch die Auswahl der Rohstoffe ändern kann – und nicht zuletzt die klimatischen Veränderungen. „Der Klimawandel wird auf viele Lieferketten einen gewaltigen Einfluss haben“, ist Feiten überzeugt. „Denn wenn der Meeresspiegel steigt, werden viele Häfen verschwinden.“

UWE HENTSCHEL

 

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